Sie fragen sich vielleicht? Wer kommt den auf die Idee eine solche Website und solch eine Kampagne zu erstellen. Also erzähle ich Ihnen etwas über mich und meine Motivation.
Ich bin selbst nicht getauft, nicht konfirmiert und habe nie einer Kirche angehört. Ich bin in den 50 Jahren meines Lebens jedoch an recht vielen Religionen vorbei gekomen und habe mich mehr oder weniger intensiv mit ihnen befasst. Ich hatte mehrere Monate Unterweisungen im Buch Mormon, ich habe in einem tibetischen Kloster im Himalaya gelebt, ich habe auch mal “stairway to heaven” in einer evangelischen Kirche gesungen und den Gottesdienst musikalisch bereichert. Ich habe auch schon mal in einem Kirchenchor gesungen und – ich mag Bach und seine Kirchenmusik.
Ich kann kein Smalltalk
Auch wenn man in Lehrbüchern über Smalltalk davor gewarnt wird, nicht über Religion zu sprechen, konnte ich mich selten zurückhalten – auch deshalb weil mich die Frage immer fasziniert hat, was Menschen mit Religion verbindet und was sie damit verbinden. Ich bin auch vielen “Zweiflern” über den Weg gelaufen und habe Gespräche mit Menschen geführt, die nicht wirklich gläubig waren, aber aus den verschiedensten Gründen Mitglied der Kirchen blieben.
Ich habe oft Menschen getroffen, die ich wegen der Dilemmata bedauert habe, in die sie wegen Glaubensfragen und organisierte Religion uns ihrer sozialen Bezüge steckten. Andere wiederum hatten sich ein beeindruckendes System des “Doppeldenk” zugelegt, in dem es von “relativen Wahrheiten” wimmelte und das wie ein lieb gewonnenes Kartenhaus aus kaum hinterfragten Ansichten gepflegt wurde – häufig mit einem Ansatz, den man von der Pascalschen Wette her kennt. “Wenn ich falsch liege, ist das auch nicht so schlimm, ich kann nur gewinnen” – ich sehe das übrigens mittlerweile anders – man kann verlieren. Pascal hat geschummelt.
Afghanische Muslime und die “Schwulenparade”
Ein weiterer Eindruck der mich beeinflusst hat, war der Christopher Street Day (CSD) in Hannover dieses Jahr. Ich bin mit der Bahn hingefahren – muss vielleicht sagen, dass ich verheiratet bin und zwei Kinder habe und weder zum Crossdressing, noch zu anderen Bunten dingen tendiere. Was ich aber mal erleben wurde, war die Party und der Umzug, der ja etwas von Karneval hat – wenn auch einen ernsten Hintergrund.
Am Bahnhof traf ich, vom CSD völlig unabhängig, auf einen Stand “Muslime für den Frieden”. Da ich, wie oben beschrieben, kaum einem Gespräch zu Religion aus dem Weg gehen kann, ging ich natürlich schnurstracks auf den Stand zu. Es war ein Stand der Ahmadiyya Muslime “Liebe für alle, Hass für keinen” war als Motto an dem Stand angebracht. Das interessierte mich.
Am Stand traf ich eine “Konvertitin”, also eine Deutsche, die zum Islam übergetreten war und wir unterhielten und nett. Irgendwann kam das Gespräch auf den Christopher Street Day (CSD) – und dieser wurde, wie üblich als “Schwulenparade” klassifiziert. Und so fragte sie mich “OK – aber wie erkläre ich das meinen Glaubensbrüdern aus Afghanistan? Für die sind das Sünder und der Qur’an ist da sehr eindeutig…”
Ich erklärte etwas zur Historie des CSD und dass dieser nach einem Aufstand von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten gegen die Polizeiwillkür in der New Yorker Christopher Street im Stadtviertel Greenwich Village benannt wurde – und also im Prinzip damit vergleichbar ist, dass man sich in Deutschland nicht schämen muss, Muslim zu sein und sich einfach (und auch mit etwas Selbstbewusstsein) auf den Vorplatz des Bahnhofes stellen kann und sagen kann: “So bin ich und für mich ist das OK – und wir feiern das einmal im Jahr – und alle die sich als “sexuell anders” benachteiligt oder unterdrückt fühlen, aber ein postives Lebensgefühl haben, können sich uns anschließen – so kommt es ja dass das Akronym LGB (Lesben Schwule Bisexuelle) immer weiter angewachsen ist auf “LSBTTIQ” – und wer wissen will, was das bedeutet kann googlen. Kommen wir auf diese Seite zurück “kann ich mal austreten” – und was der CSD damit zu tun hat. Nichts. Oder?
Komm mal zum Thema zurück
Doch – ich denke auch diejenigen die Zweifeln, die sich schon längst vom Glauben abgewandt haben, die “kirchenfern” sind oder wie es in Kirchlichen Kreisen heißt “Taufschein-Christen” oder “Namenschristen” oder U-Boot-Christen (und da klingt ja doch etwas Abwertung mit, oder?) – also auch diese brauchen eine positive Selbstwahrnehmung.
Jahrhunderte Christlicher Dominanz haben ihre Spruren in unserer hinterlassen. Beispiele:
- “unchristlich” ist alles aber nicht gut
- “gottlos” – auch da gibt es wenig positive Assoziationen
- Atheist – ist dem christlichen Verständnis nach ein “gottloser”
- Häretiker
- Ketzer (Syonyme sind “Abweichler” und “Verräter”
- Gotteslästerer
Wer das überprüfen will, kann sich einmal diesen Link anschauen. Der führt zu noch mehr Beispielen.
So und heute, am 29.12.2017 habe ich beschlossen – es ist Zeit, den Spieß umzudrehen – nicht um die Sprache so zu beeinflussen, dass die Gläubigen jetzt “Abweichler oder Verräter” sind oder Christen mit mehr abwertenden Begriffen zu überziehen, als Christen Atheisten mit abwertenden Begriffen zu beziehen sondern in der Beziehung dass ein Austritt aus der Kirche kein Akt der Schande ist, sondern Grund zur Freude, ein Akt der Befreiung, der Erleichterung.
Und so nimmt die Kampagne “kann ich mal austreten” auch die Scham aufs Korn, die einige verspüren mögen, wenn sie den Gang antreten, auszutreten.